Zur Hauptnavigation springen Zum Hauptinhalt springen

Pressemitteilung

Die Silphie, eine Mogelpackung?

Dr. Stefan Scheingraber und Johann Christl erläutern, warum sie die Energiepflanze und Biogasanlagen kritisch sehen.

Eine Blühwiese wie diese ist ein Beitrag zum Arterhalt und nicht etwa der Anbau einer durchwachsenen Silphie, regen sich Johann Christl (links) und Dr. Stefan Scheingraber auf. Der Flächenverbrauch dafür ist nur ein Punkt, den die beiden kritisieren. Sie haben andere Lösungen. Foto: Petra Schoplocher

WALDMÜNCHEN. Das wollen sie dann so doch nicht stehen lassen – die durchwachsene Silphie als Heilsbringerin.
Dr. Stefan Scheingraber und Johann Christl schütteln nicht nur über diese Botschaft den Kopf, sondern auch
darüber, wer sich da alles vor den Karren des Fachverbands Biogas habe spannen lassen. Der hatte bundesweit zu einer Aktionswoche Artenvielfalt aufgerufen, um die Vorteile der Energiepflanze zu preisen. Eine Scheindiskussion, wie die beiden Männer finden – und eine, die von der wahren Problematik ablenke.
Natürlich sei die Silphie im Vergleich zum Mais der einäugige König, will Dr. Stefan Scheingraber, öpd-Frontmann im Kreis und seit März auch Kreisrat, nicht verteufeln.
Aber: Auf den Vergleich komme es an. Zum Beispiel mit einer Fläche, die gar nicht gemäht würde... „Die Arten, die auf einer Wiese überleben können, bleiben übrig“, betont er. Das Sterben und der Verlust von Lebensraum würden auf landwirtschaftlich intensiv bewirtschafteten Flächen passieren.

Sachlich bleiben

Scheingraber weiß, dass es DEN Bauern nicht gibt, ebenso wenig will er irgendjemanden persönlich angreifen. „Machen wir doch den Faktencheck“, schlägt er ein ums andere Mal vor, zu 15 Prozent verschwundenen Vogelarten in 30 Jahren; zum Stickstoffgehalt, der weltweit von Wissenschaftlern als bedrohlicher eingeschätzt werde als der Klimawandel.
Seiner Meinung nach geht es schon lange nicht mehr darum, einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie zu schaffen, sondern die Ökonomie der Ökologie anzupassen. Es gehe um nichts Geringeres als um die Zukunft des Planeten, führt er vor Augen.

Stein des Anstoßes

Ökonomie und Ökologie, das ist genau das Thema von Johann Christl. „Bei mir geht das sehr gut zusammen“, sagt der Vorsitzende des Vereins „Energie-Wende – Landkreis Cham“ resolut. Er ist überzeugt: „Mit Energieerzeugung kann man Geld verdienen.“ Er selbst spart dank Photovoltaik- und Eigenverbrauchsanlage, Stromspeicher und E-Auto 3000 Euro pro Jahr.
Sein Lösungsvorschlag: Statt Mais oder Silphie anzubauen, FreiflächenPhotovoltaik-Anlagen errichten (die keine Konkurrenz zu Dächern sein sollen). „Da hab’ ich die Energie sofort und der Boden kann der Natur zurückgegeben werden.“ Unter den Modulen seien sogar Bio-Möhren möglich, spitzt er zu. Photovoltaik liefere 50 Mal so viel Strom wie Strom aus Energiepflanzen. Und das nicht nur „sauber“, sondern auch effektiv. Seiner Meinung nach ergibt die Energiegewinnung durch mit Mais und Co. erzeugtem Biogas und der Aufwand (Aussaat/Dieselverbrauch/Eigenstromverbrauch) gerade einmal eine Nullnummer. Flapsiger formuliert: „Man steckt hinten so viel Energie rein, wie vorne rauskommt.“ Oder in Zahlen: Mit Energiepflanzen würden pro Jahr und Hektar rund 18 000 Kilowattstunden Strom erzeugt, eine PV-Anlage schaffe 710 000.
„Ohne Umweltverschmutzung auf dem Feld!“
Christl gibt zu, dass das Investitionsvolumen für ein derartiges Projekt natürlich eine andere Hausnummer sei, als die Silphie anzupflanzen – was sogar noch (vom Landkreis) finanziell gefördert werde, wie Christl nebenbei und mit einem Kopfschütteln anmerkt.
Würden die PV-Anlagen allerdings – wie von ihm favorisiert – als Bürgerenergiegenossenschaften umgesetzt, wäre der Geldbeutel des Einzelnen nicht allzu stark belastet. „Dieses Modell wird von der Regierung boykottiert“, fasst er seine Eindrücke zusammen.

Ästhetik?

Zählt nicht mehr Dabei komme Geld, das für den Einkauf von Strom gespart werde, den Menschen direkt
und indirekt zugute. Über 40 Millionen Euro betrage etwa die jährliche kommunale Wertschöpfung, seit der Landkreis Rhein-Hunsrück dreimal so viel Strom produziert, wie er verbraucht.
Die Ästhetikdiskussion wollen die beiden Männer gar nicht erst führen. „Hinfällig, gemessen an den Herausforderungen, vor denen wir stehen“, unterstreicht Scheingraber und führt zudem exemplarisch einen Funkmast am Lamberg und diverse Großbauten an exponierten Stellen an – „Stichwort Rädlinger Primus Line mit einer an die 30 Meter hohen Produktionsstätte in Chammünster“.

Sehr wohl reden möchte Stefan Scheingraber hingegen über das Gesundheitsrisiko, das von Biogasanlagen ausgehe. Der Mediziner zitiert aus einem Schreiben des Umweltbundesamtes, das von einem „begründeten Verdacht“ spreche, dass multiresistente Keime in der Nähe von Biogasanlagen zunehmen würden. Auch mit dem Mais gehen Scheingraber und Christl hart ins Gericht. „Eigentlich freuen sich nur die Wildschweine.“ Der Boden bekommekaum Sonne, wodurch Insekten, aber auch Mäusen und somit Greifvögeln arg mitgespielt werde.

„Faule Energie"

„Wenn man den Mais dann verheizt, geht nur wertvolle Fläche verloren", sagt der ÖDP-ler. Auch er spricht bei Biogas von „dreckiger, fauliger Energie" – im Gegensatz zum wirklich sauberen Strom aus Wasser und Sonne. Dass der Landkreis sich mit einem Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien schmücke, stößt ihm insofern sauer auf, als dass 40 dieser 65 aus Biogasanlagen stammen. „Etikettenschwindel", nennt er das.
Johann Christl ist radikaler als Dr. Scheingraber: „Biogas hat keine Existenzberechtigung", poltert der Arnschwanger. Sein Kollege relativiert, dass die Verwertung von Gülle akzeptabel sei – was allerdings nichts an der grundsätzlichen Frage ändere.
„Was die Wildbiene nicht kennt, das frisst sie nicht", kontert Scheingraber auf die Aussage, dass die durchwachsene Silphie ein Segen für alle Insekten sei. Das bringt den Kreisrat zum Volksbegehren, das seiner Meinung nach beim Gießen in Gesetzesform in vier entscheidenden Punkten ausgehebelt worden sei. So seien unter anderem die kleinen Gewässer herausgenommen worden, so dass für diese keine ökologische Pufferzone vorgeschrieben sei. Scheingraber sagt das, weil „wir wirklich immer wieder auf dieses Thema Artenschutz kommen".
Dies sei längst keine regionale Frage mehr, sondern die über die Zukunft des Planeten entscheidende.
„Irgendwo müssen wir ja anfangen", meint er – wenn auch nicht unbedingt mit der Silphie, wenn es nach ihm geht.

Von Petra Schoplocher
Mittelbayerische Zeitung, 15. Juli 2020

Zurück